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Landgericht Stuttgart bestätigt: Ansprüche im Dieselskandal um VW nicht verjährt

Das Landgericht Stuttgart hat in einem von der Kanzlei Aslanidis, Kress und Häcker-Hollmann geführten Verfahren die Volkswagen AG zur Zahlung von Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen PKW verurteilt. Das Urteil vom 28.10.2019 (Az. 27 O 197/19) ist noch nicht rechtskräftig.
Das Besondere an dem aktuellen Urteil ist, dass sich das Gericht ausführlich mit der Verjährung von Ansprüchen im VW-Dieselskandal zum Jahresende 2018 im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Mitteilung und der Medienberichterstattung von VW auseinandergesetzt und zugunsten der Verbraucher entschieden hat. Betroffene VW-Fahrerinnen und -Fahrer sollten jetzt handeln und ihre Ansprüche bis Ende 2019 sichern.
Verjährung der Ansprüche im Dieselskandal aufgrund Ad-hoc-Mitteilung 2015 und Berichterstattung?
In dem Verfahren ging es um einen VW Tiguan 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit dem vom Abgasskandal betroffenen Motor EA 189 ausgestattet. Der Kläger erwarb das Fahrzeug im Jahr 2010. Im Oktober 2016 erhielt er ein Schreiben von Volkswagen, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass sein Fahrzeug zurückgerufen und ein Software-Update durchgeführt werde. Der Kläger fühlte sich durch die Beklagte getäuscht und geschädigt und erhob im Mai 2019 Klage beim Landgericht Stuttgart. Am Musterfeststellungsverfahren hatte sich der Kläger zuvor nicht beteiligt.
Im erstinstanzlichen Verfahren vertrat die Volkswagen AG die Auffassung, sie habe den Kläger nicht vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Zudem seien die Ansprüche des Klägers inzwischen verjährt. Zur Begründung der Verjährung verwies Volkswagen auf die Ad-hoc-Mitteilung aus dem Jahr 2015, diverse Presse- und Medienberichte und nicht zuletzt auf die Möglichkeit, auf der eigenen Homepage zu prüfen, ob das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei. Jedenfalls, so die beklagte Volkswagen AG, habe der Kläger seine Unkenntnis vor dem Jahr 2016 grob fahrlässig verschuldet.
LG Stuttgart: Ansprüche im VW-Dieselskandal nicht verjährt
Das Landgericht Stuttgart entschied, dass die Beklagte den Kläger bei Erwerb des Tiguan vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat und dessen Ansprüche zwischenzeitlich auch nicht verjährt sind. Das Gericht hat sich im Rahmen der Entscheidungsgründe detailliert mit den einzelnen Aspekten der möglichen Informationsbeschaffung, insbesondere diverser Artikel in der Presse und im TV, sowie den Informationsmöglichkeiten auf der Homepage der Beklagten auseinandergesetzt.
Ad-hoc-Mitteilung begründet keine Kenntnis
Nach Ansicht des Gerichts hat die beklagte Volkswagen AG nicht hinreichend dargelegt, von welchen konkreten Presseberichten, insbesondere Rundfunk- und Fernsehberichten, der Kläger Kenntnis erlangt haben soll und wie er daraus auf eine sittenwidrige Schädigungshaftung der Beklagten schließen konnte. Der allgemeine Hinweis auf solche Veröffentlichungen lasse nicht zwingend den Schluss zu, dass der Kläger diese auch verfolgt habe, zumal die Verwicklung von Vorständen und leitenden Angestellten zu diesem Zeitpunkt noch ungeklärt gewesen sei. Das Gericht wies auch darauf hin, dass der amtliche Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) erst am 15.10.2015 erfolgte. Den Rückschluss, dass auch sein Fahrzeug betroffen war, konnte der Kläger erst ziehen, als sein eigenes Fahrzeug im Jahr 2016 mit einem Schreiben zurückgerufen und ihm mitgeteilt wurde, dass ein Softwareupdate erforderlich sei.
Der Kläger handelte auch nicht grob fahrlässig, weil er nicht unmittelbar nach den ersten Presseberichten und Mitteilungen der Beklagten weiter nachforschte. Den notwendigen schweren Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten sah das Gericht schon deshalb nicht, weil Ende 2015 viele Tatsachen und die für den Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung Verantwortlichen ungeklärt waren. So konnte der Kläger nicht daraus schließen, dass ihm gegebenenfalls Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegen die Beklagte zustehen, weil sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen wäre. Zudem hätte er aufgrund der Ankündigung der Beklagten, technische Maßnahmen zur Beseitigung durchzuführen, auch darauf vertrauen dürfen und war dadurch gerade nicht veranlasst weiter nachzuforschen.
Fazit der Entscheidung
Durch das Urteil werden die Rechte geschädigter PKW-Eigentümer des VW-Abgasskandals weiter gestärkt. Dies gilt vor allem für solche Eigentümer, die sich nicht am Musterfeststellungsverfahren beteiligt haben und die nicht im Jahr 2015 durch ein Schreiben des Herstellers oder des Kraftfahrtbundesamtes informiert wurden.
In vielen Fällen – wie dem Fall, dem das aktuelle Urteil des Landgerichts Stuttgart zugrunde liegt – droht die Verjährung der Ansprüche im Dieselskandal gegenüber Volkswagen zum Jahresende 2019. Die drohende Verjährung betrifft Schadensersatzansprüche von Autobesitzern, die ein Fahrzeug der Marken VW, Porsche, Audi, Seat und Skoda mit dem Motorentyp EA 189 besitzen und die im Jahr 2016 von VW oder vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) darüber informiert wurden, dass in ihrem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut wurde. Aber auch die absolute Verjährung zehn Jahre nach dem Kauf des Fahrzeugs müssen Autobesitzer beachten.
Betroffene VW-Kunden sollten daher jetzt handeln und eine Hemmung der Verjährung ihrer Ansprüche im Dieselskandal einleiten. Das geht am einfachsten und sichersten über die Einreichung einer Klage rechtzeitig vor dem Jahresende.