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Eine für alle – die Musterfeststellungsklage als neue Klageform der Sammelklage in Deutschland

Veröffentlicht von Christopher Kress am 24. Oktober 2018

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Eine Sammelklage im eigentlichen Sinne gibt es im deutschen Rechtssystem nicht. Was als solche diskutiert wird, ist die sogenannte Musterfeststellungsklage, die ab dem 1. November 2018 als Instrument der Rechtsdurchsetzung mit Breitenwirkung möglich sein wird. Das Verfahren wird dabei zwischen einem klagenden Verbraucherschutzverband und einem beklagten Unternehmen geführt. Die einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher sind nicht direkt am Verfahren beteiligt und tragen daher auch kein Prozesskostenrisiko.

Was soll die Musterfeststellungsklage den Verbrauchern bringen?

Die Europäische Kommission hat sich bereits im Juni 2013 für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren ausgesprochen. In vielen EU-Mitgliedstaaten gibt es bereits Möglichkeiten, gleichgerichtete Ansprüche gebündelt zu verfolgen. Für Deutschland hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode zum Ziel gesetzt, Verbrauchern, die durch standardisierte Massengeschäfte geschädigt wurden, den Zugang zu zivilprozessualen Verfahren zu erleichtern.

In der Praxis handelt es sich bei solchen Massenschäden beispielsweise um Produktmängel, unzulässige Preiserhöhungsklauseln oder Bearbeitungsgebühren. Bekanntestes Beispiel ist der Abgasskandal um die Volkswagen AG – wegen seines Ausmaßes inzwischen als „Dieselgate“ bezeichnet. Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben in der Regel auf seinem Schaden sitzen, während das rechtswidrig handelnde Unternehmen den Gewinn einstreicht. Für einen Anbieter, der nicht rechtswidrig gehandelt hat, können dadurch sogar Wettbewerbsnachteile gegenüber einem anderen Anbieter entstehen. Individuelle Ansprüche, z.B. auf Schadensersatz, werden in der Praxis meist nicht durchgesetzt. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Der Schaden steht in keinem Verhältnis zum Prozessrisiko, der Zeit- oder Gesamtaufwand ist für den Einzelnen zu hoch, die Beweisführung ist für den Einzelnen schwierig und risikobehaftet. Die Musterfeststellungsklage soll diese Probleme lösen und eine effektive Durchsetzung von Verbraucherrechten ermöglichen.

Der Ablauf einer Musterfeststellungsklage

Zunächst sammelt ein anerkannter Verbraucherschutzverband die Fälle von mindestens zehn Betroffenen und reicht Klage ein. Anschließend – etwa zwei Wochen nach Klageeinreichung – können sich die Betroffenen in ein Klageregister eintragen. Insgesamt müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens fünfzig Betroffene finden und eintragen. Die Eintragung in das beim Bundesamt für Justiz geführte Klageregister ist kostenlos und wirkt verjährungshemmend.

Entscheidend ist die Wirkung des Musterfeststellungsurteils: Es soll grundsätzlich Bindungswirkung für nachfolgende Klagen entfalten. Fällt das Urteil für den Verbraucher positiv aus, muss er seine Ansprüche jedoch in einem individuellen Verfahren geltend machen, um sie in der Praxis durchsetzen zu können. Denn im Musterfeststellungsverfahren prüft das Gericht nur, ob Ansprüche bestehen oder nicht. Umgekehrt gilt diese Bindungswirkung auch: Wird eine Musterfeststellungsklage vom Gericht abgewiesen, ist sie für den einzelnen Verbraucher „verloren“. Er kann die Fragen, um die es in der Musterfeststellungsklage ging, nicht noch einmal in einem eigenen Gerichtsverfahren klären lassen. Endet das Musterfeststellungsverfahren mit einem Vergleich, können die Verbraucher wählen, ob sie den Vergleich annehmen wollen oder nicht.

Grafik-Musterfeststellungsklage

Welche Verbände sind klagebefugt?

Der Kreis der klagebefugten Verbände wird gegenüber dem Verbandsklagerecht deutlich eingeschränkt. Damit soll sichergestellt werden, dass keine sachfremden oder missbräuchlichen Musterfeststellungsklagen erhoben werden. Eine Klageindustrie mit Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild soll auf jeden Fall verhindert werden.
Klagebefugt für Verbandsklagen sind sogenannte qualifizierte Einrichtungen, die das Bundesamt für Justiz in einer Liste führt und auf seiner Internetseite sowie im Bundesanzeiger aktuell veröffentlicht. Die Voraussetzungen für die Klagebefugnis sind im Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) geregelt. Derzeit umfasst die Liste 78 qualifizierte Einrichtungen, darunter die Verbraucherzentralen der Länder, Mietervereine, Foodwatch e.V., die Deutsche Umwelthilfe e.V. oder der ADAC.

Der Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage sieht darüber hinaus folgende Kriterien für die Klagebefugnis des klagenden Verbandes vor:

  • mindestens zehn Verbände oder mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder,
  • mindestens vier Jahre beim Bundesamt für Justiz als „qualifizierte Einrichtung, die in Deutschland Unterlassungsklagen einreichen darf“ gelistet,
  • kein kommerzielles Interesse an den Klagen,
  • nicht mehr als fünf Prozent der Mittel stammen von Wirtschaftsunternehmern.

Insbesondere durch das Kriterium der Mitgliederzahl fallen einige sehr aktive Verbände durch das Raster. Die Deutsche Umwelthilfe appelliert auf ihrer Internetseite an die Abgeordneten, sich für Korrekturen des Entwurfs einzusetzen, da „eine Vielzahl hochqualifizierter Umwelt- und Naturschutzverbände nicht klageberechtigt wären und die Rechte der Verbraucher gegenüber rechtswidrig handelnden Unternehmen nicht ausreichend gestärkt würden“.

Wie genau erfolgt die Anmeldung im Klageregister?

Die Anmeldung muss folgende Angaben enthalten: Name des Anmelders, Namen der Parteien des Musterfeststellungsverfahrens, Aktenzeichen des Verfahrens, Gegenstand und Grund des Anspruchs sowie die ungefähre Höhe des Anspruchs. Im Vergleich zu einer Klage ist der Aufwand deutlich geringer. Allerdings: Verbraucher müssen darauf achten, dass alle Formalien korrekt eingehalten werden. Bei Formfehlern laufen Verbraucher Gefahr, dass ihre Anmeldung unwirksam ist. Solche Formfehler können zum Beispiel in der falschen Angabe der Namen der Parteien oder des Aktenzeichens liegen. Gerade bei großen Konzernstrukturen mit vielen Tochtergesellschaften ist es nicht einfach, die korrekte Firmierung der generischen Partei herauszufinden. Wir unterstützen Sie bei der Eintragung in das Klageregister und stellen so eine wirksame Anmeldung sicher.

Bisherige Formen des kollektiven Rechtschutzes

Neben der neuen Musterfeststellungsklage gibt es bereits seit längerem Formen des kollektiven Rechtsschutzes, die im Unterschied zu dieser nicht in der Zivilprozessordnung geregelt sind. Dazu gehören Kapitalanlegermusterverfahren nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMug) und Verbandsklagen nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UKlaG) und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).

  • Musterverfahren nach dem KapMuG sind auf die Geltendmachung von kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüchen beschränkt. Beispiel Volkswagen und Dieselskandal: Der Skandal um manipulierte Abgaswerte wurde im September 2015 öffentlich bekannt, die Aktien des Konzerns verloren daraufhin erheblich an Wert. Aktionäre verlangen Schadensersatz für erhebliche Verluste. Der Anspruch könnte sich darauf stützen, dass VW gesetzliche Informationspflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) verletzt hat. Die Verantwortlichen hätten die Öffentlichkeit – und damit auch die Aktionäre – frühzeitig über die Ermittlungen in den USA informieren müssen, da wegen der manipulierten Abgaswerte Strafzahlungen drohten.
  • Verbandsklagen sind bereits seit einigen Jahren in verschiedenen Rechtsbereichen eingeführt. So bietet das Unterlassungsklagengesetz Verbraucherschutzverbänden die Möglichkeit, zur Durchsetzung von Verbraucherschutzvorschriften auf Unterlassung oder Widerruf zu klagen. Dieses Instrument hat sich in vielen Fällen bewährt. Auch in anderen Gesetzen, etwa in § 8 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), wird Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen die Möglichkeit eingeräumt, auf Beseitigung oder Unterlassung einer unlauteren Handlung zu klagen. Vor allem aber im Verwaltungsrecht sind die Möglichkeiten der Verbandsklage erheblich erweitert worden. Gerade im Umweltrecht sind z.B. die Klagen der Deutschen Umwelthilfe gegen zahlreiche Kommunen auf Einhaltung der Grenzwerte zur Luftreinhaltung in der Öffentlichkeit bekannt geworden. Klagemöglichkeiten finden sich beispielsweise im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, im Naturschutzrecht, im Tierschutzrecht oder im Behindertengleichstellungsgesetz.
  • Vorgehen als Prozessfinanzierer: Rechtsdienstleister wie „Myright“ haben bisher anders gearbeitet. Sie lassen sich die Ansprüche ihrer Kunden abtreten und agieren als Prozessfinanzierer. Dabei muss jedoch jeder Fall einzeln vor Gericht gebracht werden. Eine Sammelklage ist das nicht.

Die Vor- und Nachteile der neuen Musterfeststellungsklage auf einen Blick:

Vorteile:

  • Kein Prozesskostenrisiko,
  • zu Beginn relativ geringer Aufwand,
  • insbesondere bei Fällen mit geringem wirtschaftlichen Schaden interessant.

Nachteile:

  • Ansprüche müssen im Anschluss an das Urteil individuell geltend gemacht werden,
  • Eintrag in das Klageregister für Verbraucher nicht einfach,
  • anderweitige Ansprüche können verjähren.

Bei Fragen zur Anmeldung im Klageregister oder anderen allgemeinen Inhalten nutzen Sie bitte unser Kontaktformular.